Schwache Blase, grosse Scham
Blasenschwäche ist ein Tabuthema – obwohl in der Schweiz rund eine halbe Million Menschen davon betroffen sind. Rüdiger Mascus, Leiter des Blasen- und Beckenbodenzentrums am KSB, klärt auf und gibt Tipps, was bei Inkontinenz hilft.
«Betroffene müssen nachts mehrmals aufstehen und zur Toilette. Das ist sehr belastend.»
Rüdiger Mascus, Leiter des Blasen- und Beckenbodenzentrums am KSB
Beim Lachen und Husten, beim Treppensteigen oder einfach so: Bei jeder vierten Frau und jedem zehnten Mann schwächelt die Blase. Das Entleeren und Speichern von Harn ist denn auch ein komplizierter Vorgang: Es ist ein Zusammenspiel von Muskeln, Nerven und bestimmten Regionen in Gehirn und Rückenmark. Die Blase sammelt den Harn, den die Nieren laufend produzieren. Ein Schliessmuskel sorgt dafür, dass nicht ungewollt Urin abfliesst. Ist die Blase voll, melden dies Nerven ans Gehirn – man muss pinkeln. Von Inkontinenz sprechen Mediziner, wenn ungewollt Urin austritt.
Rauchen und Übergewicht
Es gibt viele Faktoren, die Inkontinenz bei Mann und Frau begünstigen: Übergewicht, schwere Lasten heben oder rauchen. Bei Frauen allerdings sind Schwangerschaft und Hormonumstellung in den Wechseljahren die häufigsten Ursachen – sie schwächen den Beckenboden. Dieser Muskel schliesst das Becken nach unten ab, und durch ihn verlaufen Harnröhre, Vagina und Anus. Wenn er geschwächt ist, kann er den Urin nicht mehr zuverlässig in der Blase halten. Vor allem bei plötzlicher körperlicher Anstrengung verlieren Betroffene Urin. Deshalb nennt man diese Form der Blasenschwäche Belastungsinkontinenz. Eine andere ist die überaktive Blase. Dabei meldet das Organ übermässig oft Harndrang – auch nachts. Rüdiger Mascus bestätigt: «Betroffene müssen nachts mehrmals aufstehen und zur Toilette. Das ist sehr belastend.»
Ältere inkontinente Frauen beschreiben oft ein Fremdkörper- oder Druckgefühl im Unterleib. Der Grund dafür sind Gebärmutter oder Scheide, die sich abgesenkt haben. Sie drücken auf die Blase, was ebenfalls zu ungewolltem Urinverlust führt.
Inkontinenz beim Mann
Bei Männern ist der Beckenboden seltener ein Problem. Sie sind eher von einer Überlaufinkontinenz betroffen. Das heisst: Nicht das Zurückhalten ist das Problem, sondern die Blasenentleerung. Grund dafür ist meistens eine vergrösserte Prostata, die die Harnröhre abdrückt. Daraufhin staut sich der Urin in der Blase und überdehnt die Wandmuskulatur des Hohlorgans. Urin fliesst dann nur noch in einem schwachen Strahl oder tröpfchenweise ab. Manche Männer plagt zudem das Gefühl, die Blase nicht vollständig entleeren zu können, oder das Wasserlassen schmerzt.
Strom unterstützt Muskeln
Inkontinenz wird unabhängig vom Geschlecht zunächst konservativ behandelt, vor allem mit Physiotherapie. Rüdiger Mascus erklärt: «Vor allem bei jungen, ansonsten gesunden Betroffenen bringt das viel.» Wer regelmässig trainiere, sei nach einigen Wochen beschwerdefrei. Mascus: «Auch bei Männern ist das gezielte Beckenbodentraining sehr erfolgversprechend.» Geräte wie das Elektrostimulationsgerät unterstützen das konventionelle Training: Über eine Vaginal- oder Analsonde gibt es elektrische Impulse an den Muskel ab und stärkt diesen so.
Bringt das Training nicht den gewünschten Erfolg oder ist der Beckenbodenmuskel alleine nicht der Grund für die Inkontinenz, kann eine Operation helfen. Dabei wird ein Kunststoffband unter der Harnröhre platziert. Dieses verhindert, dass die Harnröhre bei Belastungen absackt. Bei einer überaktiven Blase (OAB, «overactive bladder») helfen Medikamente, ebenso bei einer vergrösserten Prostata. Bringen diese keine Linderung, kann Letztere operativ verkleinert werden.
Rauchen
Tabak hat einen negativen Einfluss auf viele Komponenten der Kontinenz. Zudem belastet chronischer Husten den Beckenboden.
Essen
Blähende Lebensmittel wie Lauchgewächse oder Hülsenfrüchte und stopfende wie weisser Reis und Weissmehlprodukte belasten die Blase zusätzlich, weil Luft und Stuhl auf die Blase drücken.
Beckenbodentraining
Physiotherapie und gezieltes Training stärken den Beckenboden. Eine Übung für zu Hause: Setzen Sie sich aufrecht auf einen Stuhl. Spannen Sie den Beckenboden für mindestens 10 Sekunden an, als würden Sie Urin zurückhalten, dann die Muskeln entspannen. Wiederholen Sie die Übung täglich mindestens zehn Mal.
Kleidung
Hosen- oder Rockverschlüsse lassen sich nicht immer schnell genug öffnen. Besser sind deshalb Klettverschlüsse oder Gummizüge.
Trinken
Bei Durst sollten Betroffene trinken – es ist ein Irrglaube, dass der Harndrang abnimmt, wenn man weniger trinkt. Im Gegenteil: Konzentrierter Harn verstärkt den Drang, weil er die Schleimhaut der Blase reizt. Zudem begünstigt wenig trinken Entzündungen in Harnröhre und Blase. Betroffene können aber harntreibende Getränke wie Kaffee, Tee und Alkohol meiden.
Hilfsmittel
Saugfähige Einlagen oder Schutzhosen gibt es in fast jeder Apotheke oder auch im Internet zu kaufen. Es gibt Modelle mit unterschiedlicher Saugkraft für Frauen und Männer, die auch unangenehme Gerüche verringern. Die Kosten übernimmt teilweise die Krankenkasse.
Wohnung
Ordnung in den eigenen vier Wänden hilft, auf dem Weg zur Toilette keine Zeit zu verlieren und nicht zu stolpern. Im Badezimmer gibt ein fest montierter Griff neben dem WC zudem Halt beim Hinsetzen.
Zuerst erschienen im Kundenmagazin des Kantonsspitals Baden.