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Portrait von Harald Desing für Smart Basis

«Wir rasen immer schneller auf eine Wand zu»

Die Energiewende rechtzeitig schaffen – dafür bleibt der globalen Gesellschaft kaum noch Zeit. Um die Erderhitzung in erträglichen Grenzen zu halten, hat der Empa-Forscher Harald Desing einen radikalen, unkonventionellen Plan entwickelt.  

Energiegespräch

Interview: Andreas Turner
Fotos: Kilian J. Kessler

Harald Desing, im Einklang mit führenden Forscherkollegen haben Sie den Planeten auf «Alarmstufe Rot» gesetzt: Die Menschheit steuere direkt auf eine Klimakatastrophe zu. Mit welcher Dynamik sehen wir uns da konfrontiert?
Wir haben als globale Gesellschaft viel zu lange zugewartet, jetzt wird es eng. Seit 1950 zeigen die Kurven immer steiler nach oben, egal ob für Weltbevölkerung, Energie, Wirtschaftsleistung, Artenverlust oder CO2-Emissionen – man nennt dies in wissenschaftlichen Kreisen «Great Acceleration». Mit einer graduellen Änderung unseres Umgangs mit Energie, wie sie vielleicht noch vor 20 oder 30 Jahren machbar gewesen wäre, lässt sich die Erderhitzung in der Situation, in der wir stecken, kaum noch auf 1,5 bzw. 2 Grad beschränken. Und die Hinweise mehren sich, dass es über 1,5 °C gegenüber dem Beginn der Industrialisierung sehr rasch sehr ungemütlich wird: Uns drohen Hitzewellen, Flutkatastrophen, Orkane – auch Hungersnöte. 

Die Energiewende geht in Wahrheit so zäh vonstatten, dass wir wohl über die «2 Grad»-Marke hinausdenken müssen: Mit 3 Grad mehr – worauf hätten wir uns da einzustellen?
Was dann genau passieren wird, kann niemand mit Sicherheit sagen. Fest steht: Die Erde ist über die letzten Millionen Jahre nie so heiss gewesen. Es gilt als gesichert, dass dabei Kipppunkte überschritten werden: Dann erwärmt sich die Erde weiter, egal was wir tun. Unausweichlich ist, dass sich die Gesellschaft radikal ändern wird: Wir rasen immer schneller auf eine Wand zu. Entweder erzwingt der Crash die Veränderung, oder aber wir ändern uns freiwillig. Noch können wir das Schlimmste vermeiden. Schon bald aber wird das physikalisch unmöglich. 

Die internationale Klimapolitik zeigte sich bis vor kurzem wenig ambitioniert. Wie lässt sich mehr Tempo in die Energiebereitstellung auf erneuerbarer Basis bringen?
Bislang sehen die Klimastrategien wenige Prozente der globalen Wirtschaftsleistung für den Umbau des Energiesystems vor. In jedem Krieg hingegen sind Gesellschaften bereit, wesentlich mehr zu investieren. Warum also nicht für den Fortbestand der Menschheit?  

Portrait von Harald Desing für Smart Basis

Nehmen wir einmal an, wir könnten alle ökonomischen und gesellschaftlichen Hindernisse aus dem Weg räumen: Wie schnell könnte dann der Umbau vonstatten gehen? 
Das Schaffen der erneuerbaren Infrastruktur, überwiegend Solaranlagen, braucht Energie. Diese Energie muss vom heutigen, in weiten Teilen fossil betriebenen Energiesystem zusätzlich bereitgestellt werden. Fossile Kraftwerke laufen heute nicht mit voller Auslastung, haben also ungenutzte Kapazität. Diese Leistungskapazität könnten wir in den Bau der erneuerbaren Infrastruktur investieren und zusätzlich den Solarertrag reinvestieren. Die energetisch schnellstmögliche Energiewende könnte in vier bis fünf Jahren abgeschlossen sein. 

Gerade die fossilen Energieressourcen werden seit Generationen – und aktuell gerade wieder – als geostrategische Druckmittel eingesetzt. Ist es da nicht etwas weltfremd zu glauben, dass alle Energie-Supermächte einträchtig in den Bau der erneuerbaren Infrastruktur investieren wollen?
Wir stehen vor einer kollektiven Bedrohung, die kein Land, kein Betrieb und kein Individuum alleine abwenden kann. So weltfremd es in der heutigen zersplitterten Welt auch klingen mag, es wird nur gemeinsam gehen. Ein zerstörtes Klima entzieht auch den heutigen Energie-Supermächten die Lebensgrundlage. Denken wir über den kurzzeitigen Profit hinaus, gibt es keine Gewinner der globalen Erhitzung. 

Trotzdem, die fossile Maschine noch zu forcieren, mutet auf Anhieb selbstzerstörerisch an, denn die Verweildauer des einmal emittierten CO2 in der Atmosphäre beträgt Jahrzehnte oder mehr. 
Bereits heute ist zu viel CO2 in der Atmosphäre. Für eine langfristige Stabilisierung des Klimas ist es notwendig, CO2 in grossen Mengen zu entfernen. Jedes künftig ausgestossene CO2-Molekül muss zusätzlich eingefangen werden. Aber der rasche Umbau des Energiesystems geht nun mal nicht ohne zusätzliche Emissionen. Wichtig ist, dass die für die Energiewende anfallenden Emissionen insgesamt möglichst gering ausfallen – und dieses absolute Minimum lässt sich nur durch ein kurzfristiges Hochfahren der fossilen Maschine erzielen. Dabei geht es nicht darum, mit dieser zusätzlichen Energie Party zu machen, sie muss einzig und allein in den Bau der erneuerbaren Infrastruktur investiert werden.

Wenn Photovoltaik die künftige Energie-Schlüsseltechnologie ist, wie setzen wir sie am sinnvollsten ein?
Das globale Potenzial der Photovoltaik auf bereits versiegelte Flächen – also auf Dächern und Fassaden, über Parkplätzen und anderen Infrastrukturflächen – reicht für eine globale 2000-Watt-Gesellschaft. Dazu ist keine Flächenumwandlung notwendig und es entsteht auch keine negative Auswirkung auf die Biodiversität. 

«Entweder erzwingt der Crash die Veränderung, oder aber wir ändern uns freiwillig. Noch können wir das Schlimmste vermeiden.»

Harald Desing, Empa-Klimafolgenforscher 

Das Modell der 2000-Watt-Gesellschaft, das auf freiwillige Selbstbeschränkung setzt, geistert seit den 1990er Jahren herum. Glauben Sie im Ernst, dass der komfortverwöhnte Durchschnittsbürger einen drastisch eingeschränkten Zugang zu Energie einfach so hinnehmen würde? 
Ich denke, wir sollten das Narrativ «Klimaschutz ist Verzicht» umwandeln in so etwas wie «Gut fürs Klima, gut für mich». Letztlich wollen wir ja nicht Energie, Produkte oder Dienstleistungen, sondern ein glückliches und gutes Leben. Und das können wir auch mit deutlich weniger Energie erreichen. Dazu braucht es ein umgekehrtes Marketing. Es muss in die Überzeugung münden, dass es sich mit weniger besser lebt.  

So gut gemeint ihr Vorschlag anmutet – ist er nicht illusorisch angesichts der Tatsache, dass viele Zeitgenossen der Wissenschaft und speziell der Klimafolgenforschung misstrauen? 
Nach wie vor gibt es viel Lobbyismus gegen Klimamassnahmen; als Gesellschaft ist das selbstzerstörerisch. Gleichzeitig gibt es aber auch ein gesteigertes Bewusstsein dafür, dass eine schnelle Energiewende notwendig ist. Unsere Ambitionen sollten sich daran orientieren, was physikalisch möglich ist, und sich nicht partikulären und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen unterordnen. Genau dafür möchte ich Denkanstösse liefern. 

Das Teilen von Fachwissen stagniert doch deswegen, weil viele Wissenschaftler – überspitzt gesagt – im Elfenbeinturm ihres Instituts und ihrer Forschungsgruppe sitzen. Wie lassen sich ihre Erkenntnisse effektiver in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tragen? 
Wir Wissenschaftler haben das Privileg und auch die Verantwortung, zukunftsfähige Ideen zu entwickeln. Meist sind wir aber schlecht darin, unsere Erkenntnisse und Ideen auf breiter Basis mitzuteilen. Dafür brauchen wir Unterstützung durch Organisationen und Leute wie Sie, die uns dabei helfen.  

Auch die erneuerbaren Energiequellen sind nicht beliebig verfügbar. Wie viel Eingriff des Menschen verträgt das Erdsystem?
Die Erde ist ein endliches System, angetrieben von einem konstanten Energiestrom der Sonne. Eignen wir uns ein Teil davon an, fehlt die Energie anderswo im Erdsystem. Aufgrund der Erdsystemgrenzen ist, wie Sie richtig sagen, auch das erneuerbare Energiepotenzial begrenzt. 

Portrait von Harald Desing für Smart Basis

Solarpionier und Cleantech-Wegbereiter Bertrand Piccard sagt: Selbst gewinnorientierte Unternehmen müssen heute gar nicht mehr ökologisch, sondern nur noch logisch handeln. Stimmen Sie zu?
Die Photovoltaik ist heute bereits die billigste Form, Strom zu erzeugen – trotz massiven Subventionen für fossile Energie. Woran es meist hakt, sind die Speicher. Diese Problematik liesse sich aber auch mildern, indem man den Energiebedarf auf den Lauf der Sonne ausrichtet – ich nenne das die «Sonnenblumengesellschaft». So vermeiden wir Kosten, Materialien und Energie, die wir für die Speicherung benötigen würden.  

Sonnenblumengesellschaft – das klingt reichlich esoterisch. Können Sie das etwas ausführen?
Speicher zu bauen und zu betreiben, braucht zusätzlich Energie, die dann zum Bau von Photovoltaik fehlt. Ganz ohne Speicher wird es zwar nicht gehen, zum Beispiel für Notfallkrankenhäuser in der Nacht, aber die allermeisten Energieanwendungen können geplant werden. Zum Beispiel die Waschmaschine zu Mittag benutzen, abends zum Buch greifen anstatt zu streamen und Isolationsmaterialien im Sommer produzieren, um im Winter Energie zu sparen.  Je weniger Speicher, desto schneller die Energiewende und umso größer die Chance, den Crash zu vermeiden.  

Gerade jetzt im Winter zieht es die Menschen wieder in südliche Gefilde. Wie kommt da eine Werbekampagne einer bekannten Schweizer Fluggesellschaft bei Ihnen rüber, die mit Slogans wie «Malediven nonstop: Been there. Done that.» einen munteren Abhak-Tourismus propagiert?
Wir leben im Glauben, freie und informierte Entscheidungen zu treffen. Dabei manipulieren uns Marketing und Werbung ständig, reden uns ein, etwas getan haben, etwas besitzen zu müssen. Dabei brauchen wir das Meiste gar nicht. Einfach irgendwo gewesen zu sein, erweitert nicht den kulturellen Horizont. Zwar erachte ich das Erfahren fremder Kulturen als äusserst wichtig und bereichernd – aber das braucht viel Zeit, eine langsame Art des Reisens und einen nur minimalen Einsatz von Energie. 

In Kürze

Dr. Harald Desing (33) studierte Maschinenbau an der Technischen Universität München (TUM) und erprobte seine Fähigkeiten in der Industrie. Das Bewusstsein für den notwendigen fundamentalen Wandel der Gesellschaft reifte während seiner Zeit in der Entwicklungszusammenarbeit in der Mongolei und in Südafrika. Seit seiner Promotion zum Umweltingenieur an der Empa und ETH forscht er an der Empa, Abteilung Technologie und Gesellschaft, zur Transformation in eine fossilfreie und zirkuläre Gesellschaft. 

Florian Birchmeier Redact Kommunikation

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