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Portrait von Sara Koller für Smart Basis

«Die Schweiz hat hervorragende Windkraft-Standorte»

Das Unvorhersehbare analysieren und strukturieren: Die Meteorologin Sara Koller über ihre Erkenntnisse als Windexpertin, den politischen Windenergie-Diskurs und zwei ganz unterschiedliche berufliche Welten, in denen sie sich bewegt.  

Energiegespräch

Interview: Simon Eberhard
Fotos: Conrad von Schubert

Frau Koller, in der Energiediskussion hört man oft das Argument, die Schweiz sei einfach kein Windland. Wie stehen Sie zu dieser Aussage? 
Natürlich sind die Windstärken hier nicht mit solchen an Offshore-Standorten wie vor Norddeutschland zu vergleichen. Aber das ist in meinen Augen auch nicht sinnvoll. Die Frage lautet doch: Gibt es auch hierzulande Standorte, an denen sich die Windenergie lohnen würde? An denen wir Strom produzieren und zur Versorgungssicherheit beitragen können?  

Und wie lautet die Antwort darauf?
Eindeutig ja. Aus meiner Sicht als Meteorologin und Windexpertin kann ich sagen: Die Schweiz hat Standorte, die sich hervorragend für Windenergie eignen. Diese nicht zu nutzen, ist in meinen Augen eine vergebene Chance.  

Auch wenn dort der Wind nicht durchgehend weht?
Das ist nun mal das Wesen der erneuerbaren Energien. Ja, manchmal ist es windstill. Genauso, wie Photovoltaikanlagen nachts nicht produzieren. Doch über längere Zeit kann Windenergie einen wertvollen Teil zur Energieversorgung beitragen. Insbesondere, weil der Wind in der Schweiz mehrheitlich im Winter am stärksten ist – also dann, wenn wir am meisten Energie brauchen. Sie ergänzt somit die Photovoltaik sehr gut.  

Portrait von Sara Koller für Smart Basis

Dennoch lösen viele geplante Windenergie-Projekte grosse Emotionen aus. Wie erleben Sie diese Diskussionen?
Natürlich verstehe ich die Skepsis. Eine Windturbine kann als majestätisch oder als Monster empfunden werden. Ich persönlich finde sie ästhetisch, gleichzeitig kann ich aber auch nachvollziehen, wenn ein Hausbesitzer keine solche Anlage in der Nähe seiner Liegenschaft haben will. Diese ist ja nicht nur ein visueller Eingriff in die Umgebung, sondern auch mit Lärmemissionen verbunden.  

Spüren Sie diese kritische Haltung auch in Ihrer Arbeit?
Ja. Mit den grossen Emotionen, die das Thema auslöst, ist auch unser Unternehmen konfrontiert. Zwar projektieren wir selbst keine Windparks, sondern stellen nur Berechnungen und Analysen an. Dennoch wurden wir schon angegriffen.   

Wie gehen Sie damit um?
Sehr wichtig sind mir der Dialog und die sachliche Diskussion. Gelegentlich laden mich Projektteams zu Informationsterminen mit der lokalen Bevölkerung ein, was ich sehr schätze. Diesen Austausch erlebe ich als spannend und konstruktiv. Und er hilft, teilweise haarsträubende Fehlinformationen zu korrigieren. Dies zeigt mir: Es ist wichtig, aufeinander zuzugehen und die Fakten offen auf den Tisch zu legen.  

«Die heutigen Turbinen sind höher und haben grössere Rotoren und Generatoren, produzieren also mehr Energie.»

Sara Koller, Leiterin Wind und Eis für Meteotest AG

Eine Studie, die Sie im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) mitverfasst haben, kommt zum Schluss, dass in der Schweiz ein theoretisches Potenzial von jährlich 30 TWh besteht – das ist rund 200-mal so viel wie die derzeit installierte Leistung. Hat Sie diese Zahl überrascht?
Eigentlich nicht. Sie bestätigt meine Erfahrungen aus der täglichen Arbeit. Jedoch ist es wichtig, die Studie auch richtig zu lesen. Wir sprechen hier über ein theoretisches Potenzial der Windenergie in der Schweiz. Um dieses vollständig zu erschliessen, müssten wir in der Schweiz über 4000 Turbinen bauen. Diese riesige Zahl schreckt ab. Aber darum geht es in dieser Studie auch nicht.  

Sondern?
Sie ist eine Standortbestimmung, die zeigt, welche potenziellen Energieressourcen unser Land zur Verfügung hat. Mit den Erkenntnissen daraus lassen sich anschliessend die nächsten Schritte planen und konkrete Projekte realisieren – an Standorten, wo es sinnvoll ist. Die Schweiz wird jedoch sicher nicht 4000 Turbinen bauen. Niemand will das!   

2012 hat das BFE bereits eine Windpotenzialberechnung publiziert. Damals resultierte ein Potenzial von nur 3,7 TWh pro Jahr. Weshalb ist es jetzt so viel höher?
Das liegt einerseits am technologischen Fortschritt: Die heutigen Turbinen sind höher und haben grössere Rotoren und Generatoren, produzieren also mehr Energie. Andererseits haben sich die mit der Energiestrategie 2050 politischen Rahmenbedingungen geändert. Durch das gesetzlich verankerte nationale Interesse für Windparks mit einer Produktion über 20 GWh sind potenziell mehr Flächen nutzbar geworden. 

Portrait von Sara Koller für Smart Basis

Auf welcher Datengrundlage haben Sie dieses theoretische Potenzial errechnet?
Auf Grundlage des Windatlas 2019, den wir im Auftrag des BFE mittels Strömungsmodellierungen, langjährigen Datensätzen der MeteoSchweiz und des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF sowie zur Verfügung gestellten Daten von Windkraftbetreibern erstellt haben. Der Windatlas hat eine Auflösung von 100 Metern und eignet sich deshalb nur als grobes Planungswerkzeug – für ein konkretes Windprojekt sind genaue Messungen vor Ort unerlässlich.  

Sind Sie dabei auch selbst zugegen?
Ja. Auch wenn ich inzwischen hauptsächlich konzeptionell und in Führungsaufgaben tätig bin, so ist es mir immer noch sehr wichtig, den Wind auch selbst in der Feldarbeit zu spüren – auch wenn das manchmal eisig kalt ist. Das gibt mir ein besseres Verständnis für die lokalen Verhältnisse, und ich erkenne mögliche Fehlerquellen unserer Berechnungen.   

Was fasziniert Sie persönlich am Thema Wind?
Das Chaotische, Unberechenbare. Auch wenn wir mit Modellen und Berechnungen versuchen, die komplexen Prozesse nachzubilden, ist es immer eine vereinfachte Darstellung der tatsächlichen Bedingungen. Gerade in der Schweiz mit ihrem komplexen, gebirgigen Gelände hält der Wind immer wieder Überraschungen bereit.  

Ihre Begeisterung für den Wind ist spürbar. Gleichzeitig bewegen Sie sich als Performancekünstlerin in einer zweiten, ganz anderen Welt. Gibt es Verbindungspunkte?
Durchaus. Die Arbeit als Künstlerin hilft mir, eine andere Herangehensweise an Projekte zu finden, eine unterschiedliche Denkweise einzunehmen. Die Performance-Kunst ein stetiges Verhandeln, ein Dialog mit dem Publikum. So dient mir die Kunst als Inspirationsquelle für meine Arbeit als Meteorologin – und umgekehrt. 

In Kürze

Sara Koller (41) studierte Umwelt-Geowissenschaften und Mikro-Meteorologie an der Universität Basel. Sie arbeitet als Leiterin Wind und Eis für das Analyseunternehmen Meteotest AG. In dieser Funktion erstellt sie für ihre Kunden – unter anderem die Rega sowie Unternehmen aus der Seilbahn- und Energiebranche meteorologische Gutachten und Analysen. Zudem hat sie auch die Potenzialstudie Windenergie Schweiz mitverfasst, die das Bundesamt für Energie im August 2022 veröffentlicht hat. Sara Koller lebt in Bern und arbeitet nebenberuflich als Performancekünstlerin. 

Florian Birchmeier Redact Kommunikation

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